Wurzeln aus der Vergangenheit
- philofeel
- 15. Jan.
- 4 Min. Lesezeit
Es war einer dieser wundervollen Samstagmorgende. Die Sonnenstrahlen schienen sanft durch die weißen Vorhänge, die im Wind durch unser lichtdurchflutetes Schlafzimmers wehten. Ich schlug behutsam meine Augen auf und schaute nach links zu meinem Handy - 7:02h.
Seitdem ich die Firma meines Vaters vor 3 Jahren übernommen hatte, war ausschlafen keine Option mehr für mich. Zu viel Stress, immer auf Abruf und wie immer viel zu wenig Zeit! Ich war in den letzten Jahren zu einem der jüngsten Top Managern in Europa aufgestiegen. Ich hatte mehrere Firmen gegründet und mich auf den Aktienmärkten mehr als gut geschlagen, sodass die Medien mich in diversen Beiträgen, als klassisches Symbol von Erfolg benutzt hatten.
Aber all das ist nicht wichtig dachte ich mir, als ich mich nach rechts drehte und diese wunderschöne Frau neben mir liegen sah. Die Frau, die mir 2 wundervolle Kinder geschenkt hatte. Die Frau, die mich in meinen dunkelsten Stunden vor mir selbst gerettet hatte.
Wie jeden morgen versuchte sie mich vom aufstehen ab zu halten in dem sie sich sanft an mich klammerte. Wie jeden Tag blieb sie zwar damit erfolglos, aber genau diese Dinge liebte ich an ihr. Sie geben mir ein Gefühl, welches ich nie zuvor in meinem Leben gespürt hatte: Geliebt zu werden.
Nachdem ich 45 Minuten im Park gejoggt war, nahm ich eine eiskalte Dusche und folgte kichernden Kinderstimmen und betörendem Kaffeegeruch in die Küche. Ein Frühstück mit der Familie... das hatte ich mir als Kind immer gewünscht.
Genau so, wie es damals in meinem ersten Kinderbuch abgebildet war, - die ganze Familie an einem Tisch. Alle lachen. Alle sind glücklich.
Was meine Mutter wohl dazu sagen würde? Diese Frage hatte ich mir schon oft gestellt.
Ob die beiden wohl eine Oma in ihrem Leben vermissen? Fragte ich mich, als ich meine bezaubernde Tochter dabei beobachtete, wie sie ihren Joghurt, mehr in ihrem Gesicht, statt in ihrem Mund verteilte.
Wir werden es nie erfahren, oder? Ich habe einfach unfassbares Glück! Sagte ich zu mir. Egal was war, egal wo ich herkomme. Hätte ich mich damals, trotz all dem was passiert war anders verhalten sollen? Nein. Jetzt ist es sowieso zu spät.
Mein Sohn Nate feiert morgen seinen 8. Geburstag und somit brach ich direkt nach dem Frühstück auf, um ihm seinen lang ersehnten Geburtstagswunsch zu erfüllen. Er hatte sich natürlich eine neue Playstation gewünscht und die sollte er natürlich auch bekommen. Als ich in seinem Alter war, war an so etwas nicht zu denken, dazu war ich nicht wichtig genug - erinnerte ich mich schmerzhaft.
Aber auch ich hatte irgendwann Glück! Als mich mein Ziehvater damals adoptierte. Genau ab diesem Zeitpunkt hatte ich eine Familie! Eine Familie, die mir vielleicht sogar das Leben gerettet hatte.
Ein lautes hupen zog ich mich rasch aus meinem Tagtraum! Die Ampel war wohl schon etwas länger grün gewesen.. Aber, warum denke ich heute so intensiv über alles nach? Verrückt.
Nachdem ich direkt vor dem Elektronikmarkt einen Parkplatz entdeckt hatte, schlenderte ich entspannte durch die Regale des Kaufhauses. Ich habe mir früher immer vorgestellt wie es sich wohl anfühlen würde, sich alles kaufen zu können was in diesen Regalen steht und genau jetzt, viele Jahre später, war ich an diesem Punkt angelangt.
Ich kaufte großzügig ein. Neben der Playstation, wanderten noch Spiele und ein neues Handy in meinen Einkaufswagen. Er wird sich freuen! Dachte ich mir.
Als ich den Laden verließ, musste ich feststellen, dass es zu Regnen begonnen hatte. So ein schöner Tag und jetzt das... Ich lud in höchstem Tempo die Sachen in den Kofferraum meines Geländewagens ein und stieg ein, ohne meinen Einkaufswagen zurück zu bringen. Auf dem Weg nochmal zurück, durch Regen, hatte ich keine Lust, über den € darf sich gerne jemand anders freuen.
Gerade als ich mich anschnallen wollte, kam eine Person durch den Regen auf meinen Wagen zu. Kurz vor meinem Auto erkannte ich, dass die Frau Arbeitskleidung des Kaufhauses trug, in dem ich soeben eingekauft hatte. Je näher die Frau kam, fiel mir auf, dass sie mir sehr alt vor kam. In jedem Fall jenseits des Rentenalters, ihr Gesicht wirkte schmal und verkümmert. Viel zu alt um noch zu arbeiten und besonders in dieser nassen Kälte! Sie blickte kurz durch die von Regentropfen übersäte Scheibe zu mir herüber, als sie sich entschlossen nach dem Einkaufswagen und diesen in Richtung des Ladens zurück zu schiebte.
Als sich unsere Blicke kurz trafen, durch schoss mich plötzlich ein sehr komisches Gefühl. Das muss das schlechte Gewissen sein, dachte ich mir, den Wagen bringe ich das nächste mal definitiv selber zurück. Ich musterte sie von oben bis unten, als sie sich wieder unter das Vordach des Eingangsbereiches stellte und ihr Hände vor Kälte in den Hosentaschen vergrub.
Doch während ich dort saß und mich fragte, wieso die Frau in diesem hohen Alter noch so einer Arbeit nachgehen muss, erschütterte eine eiskalte Welle meinen Körper und mein Herz begann schlagartig zu rasen. Die Frau, die ich dort sah, war meine Mutter.
11 Sekunden hatte es gedauert, bis ich sie erkannte. 11 Sekunden in denen ich nicht gemerkt hatte, das der Mensch der mich auf die Welt gebracht hatte, mir durch Zufall so nah war, wie seit vielen Jahren nicht mehr. In diesem Moment kam alles zurück, all die Schmerzen, all die Narben die meine Mutter auf meiner Seele hinterlassen hatte spürte ich erneut. Ich konnte es nicht fassen, vor allem aber spürte ich eine tiefe Traurigkeit. Ich schämte mich dafür, das ich meine eigene Mutter nicht erkannte. Ein Gefühl des Ekels überkam mich, denn ganz egal was passiert war.. man hat nur eine Mutter.
Ich hatte meine Mutter in den letzten Jahren einfach aus meinem Leben gelöscht, wie man eine Datei von seinem Computer entfernt.
Während mir eine Träne die Wange herunter lief, dreht ich denn Schlüssel um und fuhr davon.
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